Das Lübecker Start-up Patientus bietet eine Online-Video-Sprechstunde für Ärzte und Patienten an. Doch was kann die Plattform, die seit Oktober 2014 allen niedergelassenen Ärzten in Deutschland zur Verfügung steht?
Der Landarzt wird zum Web-Doktor
Patienten in deutschen Großstädten sind medizinisch gut versorgt. Neben Allgemeinmedizinern haben sich hier auch zahlreiche Fachärzte niedergelassen. Doch in vielen ländlichen Regionen mangelt es an Ärzten. Schon bei geringen Beschwerden wie einer Erkältung muss eine kilometerweite Anreise in Kauf genommen werden – Spezialisten sind noch schwieriger zu erreichen. Ob sich eine weite Anreise und lange Wartezeiten auch lohnen, lässt sich vorab mit Patientus klären: Das Lübecker Start-up bringt auf seiner Online-Plattform Arzt und Patient per Videochat zusammen.
Online-Arzt darf nur beraten
Die Gründer Jonathan von Gratkowski, Christo Stoyanov und Nicolas Schulwitz betonen dabei ausdrücklich, dass es ihnen nicht darum geht, den physischen Arztbesuch zu ersetzen, sondern sinnvoll zu ergänzen. In Deutschland dürfen Ärzte laut (Muster-)Berufsordnung eine Diagnose nicht ausschließlich über Print- oder Kommunikationsmedien stellen. Anders verhält es sich, wenn sie den Patienten bei einer Erkrankung zumindest einmal in ihrer Praxis untersucht und diagnostiziert haben. Eine Weiterbehandlung solcher Bestandspatienten, selbst mit veränderten Therapiemaßnahmen, ist erst dann möglich. So müssen Patienten für die Nachsorge nicht in die Praxis kommen.
Erstes Kennenlernen per Webcam
In der sogenannten “Informationssprechstunde” haben Patienten die Möglichkeit, sich vorab beim Arzt ihrer Wahl zu informieren. Der Arzt kann den Patient über die möglichen Folgen einer eventuell notwendigen Behandlung aufklären (Länge des ambulanten oder stationären Aufenthalts, mögliche Schmerzen und Nebenwirkungen etc.). Der Patient kann so unnötigen Zeitverlust bei der Anreise zum Arzt vermeiden und sich sicher sein, dass der Arztbesuch auch wirklich notwendig und sinnvoll ist. Zusätzlich bietet Patientus die “Bestandspatienten-Sprechstunde” zur Nachkontrolle und eine “Zweitmeinungs-Sprechstunde” für die Einschätzung eines zweiten Fachexperten an. Im Dashboard gibt es dafür die Möglichkeit, Dokumente und Bilder hochzuladen, sodass Röntgenbilder und andere Befunde miteinander besprochen werden können.
Wer zahlt was bei Patientus?
Für Patienten ist die Vermittlung kostenlos. Ärzte müssen sich mit einem Account bei der Online-Plattform registrieren. Je nach Funktionsumfang variieren die Gebühren. Wer nur mit seinen Bestandspatienten sprechen möchte, bspw. für eine Nachbehandlung, zahlt 59 Euro monatlich. Ärzte, die auch neue Patienten über die Video-Chat-Funktion beraten möchten, tauchen in der Suchliste auf und zahlen 99 Euro im Monat. Den Preis für die Beratungsgespräche legen die Ärzte fest. Erste Informationsgespräche bieten die Ärzte meist kostenlos an. Nachfolge-Termine kosten in der Regel zwischen 20 und 50 Euro für 30 Minuten – je nach Aufwand und Fachrichtung. Noch übernehmen die Krankenkassen die Kosten nicht, da das Online-Arztgespräch nicht im Leistungskatalog der Kassen aufgeführt ist. In Zukunft soll dies aber möglich sein. Das geplante eHealth-Gesetz soll dafür die Voraussetzungen schaffen.
Wie sicher sind die Patientendaten?
Vor vier Jahren begann das Entwicklertrio mit der Konzeption und Entwicklung. Ziel war es eine Videokonferenz zwischen Arzt und Patient zu ermöglichen, die leicht in den Alltag zu integrieren ist, auf einer sicheren Verbindung beruht und ohne Zusatzsoftware von allen Endgeräten aus nutzbar ist. Gerade wenn es um sensible Patientendaten geht, steht in Deutschland Datenschutz an erster Stelle. Aus diesem Grund entschied man sich für eine browserbasierte Lösung. Benötigt wird dafür nur ein internetfähiger PC und eine Webcam. Da das Programm über den Browser läuft, ist keine zusätzliche Software nötig. Die Gesprächsteilnehmer vereinbaren einen Termin und kommunizieren anschließend über ein separat geöffnetes Browserfenster per Video-Chat. Die direkte Verbindung zwischen den beiden Computern (Peer-to-Peer-Verbindung) ist sicherer, da die Daten nicht erst auf einem Server zwischengespeichert und weitergeleitet werden. Zusätzlich werden die Daten ähnlich wie beim Online-Banking verschlüsselt übertragen.
“@Patientus bringt den Online-Arzt nach Deutschland. Ist der klassische Arzt überflüssig? #eHealth“
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Über diese sichere Verbindung findet auch der Austausch von Röntgenbildern oder anderen Befunden statt. Die Speicherung von Patientendaten bei einem deutschen Rechenzentrum erfolgt nur nach ausdrücklicher Einwilligung des Nutzers. Und die Informationen, die für den Zahlungsprozess benötigt werden, speichert Patientus überhaupt nicht, da das Unternehmen mit einem Dienstleister zusammenarbeitet, der auf Online-Bezahlung spezialisiert ist. Für mobile Nutzer gibt es eine iOS- und eine Android-App.
Arzt 2.0 ist kein neues Phänomen
In der Pressemitteilung zum neuen Online-Portal rühmt sich das Lübecker Start-Up Patientus damit: “Was Google noch in den USA testet, ist in Deutschland schon auf dem Markt: die Online Video-Sprechstunde.” – eine Anspielung auf die Erweiterung der Google Plattform Helpouts auf den medizinischen Bereich. Allerdings hinkt der Vergleich, da Google nie über die Betaphase hinauskommen wird: Helpouts wird am 20. April 2015 eingestellt.
Eine bahnbrechende Neuheit ist das Videoportal allerdings nicht. In anderen europäischen Ländern wie der Schweiz oder England ist die Telemedizin längst fester Bestandteil der medizinischen Versorgung. Allerdings können Ärzte dort auch online Diagnosen stellen, Medikamente verschreiben und die Leistungen über die Krankenkassen abrechnen. Patientus zeigt aber wie der virtuelle Arztbesuch den realen sinnvoll ergänzen kann, ohne ihn zu ersetzen. Hier gilt es anzusetzen und die Digitalisierung der Medizin auch in Deutschland voranzutreiben.